I-BZf
Das Musikarchiv
des Franziskanerklosters Bozen
Der Provinzarchivar der Tiroler Franziskaner, P. Oliver Ruggenthaler OFM, entdeckte im Sommer 2002 bei Räumungsarbeiten im Franziskanerkloster Bozen Unmengen alter, verloren geglaubter handgeschriebener Noten sowie Musikdrucke des Konvents. Der Fundus ist, nach derzeitigem Forschungsstand, etwa neben Stift Stams einer der umfangreichsten Musikalienbestände in Tirol für das 18. Jahrhundert, mit einem ebenso hochgradigen Quellenwert. Seine Konsistenz weist ihn als exzeptionelles Kulturgut aus, von herausragender Bedeutung sowohl für das gesamte Land Tirol wie für die Musikgeschichte im europäischen Raum.
Er umfasst etwa 1600 Musikhandschriften aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis um 1900, dazu etwa 40 umfangreiche, nachträglich kompilierte Sammelbände mit Handschriften aus dem 18. Jahrhundert, die für sich insgesamt an die 3000 Stücke enthalten sowie circa 700 Musikdrucke aus der Zeit des späten 18. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Der Bestand gibt erstmals Aufschluss über die Musikpflege an einem Tiroler Franziskanerkloster im Zentrum des Landes und wird auch als repräsentativ für andere Franziskanerklöster im deutschen Sprachraum zu werten sein. Geistliche Musik unterschiedlichster Gattungen zur Liturgie, stark verbunden franziskanischer Tradition, aber ebenso allgemeinen Zeitphänomenen in spezifisch lokaler wie überregionaler Ausprägung, bildet einen Schwerpunkt der Sammlung. Italienisches und deutsches Opernrepertoire erfuhr im Franziskanerkloster Bozen von etwa 1700 bis in das 19. Jahrhundert eine Rezeption in Parodien. Ein Teil der Handschriften stammt aus ehemaligem Besitz der Stadtpfarrkirche von Bozen, so dass gleichzeitig ein unmittelbarer Einblick in die Musikpflege dieser bedeutenden Institution geistlichen Lebens in Tirol möglich wird.

Wolfgang Amadeus Mozart, Die Zauberflöte, Anfang von Papagenos Arie "Der Vogelfänger bin ich ja" in einer Bearbeitung des Singspiels im Franziskanerkloster Bozen, Kopie 1814 (I-BZf)

Christoph Willibald Gluck, Alceste, Titel einer Bearbeitung von Teilen der Oper als Kantate für den Karfreitag (Textbeginn "Seht des Königs Fahne"), Kopie 1824 (I-BZf)
Insgesamt sind an die 300 Komponisten vertreten, ohne Berücksichtigung der im Zuge der Bestandsbearbeitung möglichen Identifizierungen des hohen Anteils an Anonyma. Autographen von Franz Xaver Brixi oder Josef Gabriel Rheinberger, singuläre Fassungen von Werken Wolfgang Amadeus und Leopold Mozarts, Josef und Michael Haydns, Ludwig van Beethovens oder Johann Zachs belegen den besonderen Stellenwert dieser Musikalien im internationalen Kontext. Im In- und Ausland tätige Tiroler Komponisten des 18. wie 19. Jahrhunderts und dem Franziskanerorden angehörige, versierte Autoren sind reich vertreten. Das Archiv weist die in einem Komplex bislang dichteste Überlieferung von Tiroler Musik zur Weihnachtszeit auf.

Anonymus, „Missa Natalitia“: Parodiemesse über 26 Melodien von Weihnachtsliedern für Singstimme und Orgel (Basso continuo), Handschrift aus Besitz und Gebrauch des Franziskanerklosters Bozen (I-BZf), 1710
Stand der Bearbeitung (20.7.2013/30.12.2009, Arbeitsbeginn April 2003):
I-BZf: Musikhandschriften ca. 3000 Titelaufnahmen (Franz Gratl, Giulia Gabrielli)
I-BZf, Teilbestand, Nachlass des Bozener Pfarrorganisten und Kapellmeisters Jakob Schgraffer (1799-1859):
Musikhandschriften ca. 350 Titelaufnahmen, Musikdrucke ca. 10 Titelaufnahmen (Giulia Gabrielli)
Seit Juni 2010 sind alle bisher bearbeiteten Titel (als work in progress) im RISM-OPAC publiziert, einem Projekt von RISM in Kooperation mit der Bayerischen Staatsbibliothek München und der Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz: http://www.rism.info/
mehr über den Bestand
Singuläres Tiroler Kulturgut von internationalem Rang neu entdeckt:
Das Musikarchiv des Franzsikanerklosters Bozen
In I-BZf wurde 2006 mit nachdrücklicher Unterstützung des Guardians P. Dr. Willibald Hopfgartner OFM für die klostereigenen Musikalien ein eigener Archivraum mit konservatorisch adäquaten Lagerungsbedingungen eingerichtet.
In diesem Musikmagazin des Franziskanerklosters Bozen wird ferner seit 2006 als Depositum der alte Notenbestand des Franziskanerklosters Kaltern (I-CALf) fachgemäß gelagert (ca. 1000 Handschriften und ca. 200 Drucke aus der Zeit von etwa 1850 bis 1950).
Projektleitung: |
Univ.-Doz. Mag. art. Dr. phil. Hildegard HERRMANN-SCHNEIDER |
Bestandsbearbeitung: |
Mag. Dr. Franz GRATL |
Assistenz: |
P. Oliver Ruggenthaler OFM |
Projektfinanzierung: |
Südtiroler Landesregierung |
mehr über RISM Landesleitung Westösterreich und Referat Südtirol
> www.musikland-tirol.at Vom 'Tiroler Musikkataster' zu 'RISM' [...]
Presseberichte (über den Musikalienfund) in:
Alto Adige, 4. 4. 2003, S. 45
Dolomiten, 4. 4. 2003, S. 22
Il Mattino, 4. 4. 2003, S. 16
Der Standard, 5./6. 4. 2003, S. 31
Tiroler Tageszeitung, 4. 4. 2003, S. 14
Tiroler Tageszeitung, 22. 4. 2003, S. 14
Literatur:
Hildegard Herrmann-Schneider:
1) Das Musikarchiv des Franziskanerklosters Bozen.
Singuläres Tiroler Kulturgut von internationalem Rang neu entdeckt,
in: tyrolia franciscana, Nr.4, 2003, S. 94-96
2) Auf neuen Spuren zur Geschichte der Kirchenchöre in Südtirol,
in: Kirchenmusik, Nr.86, Dezember 2004, Bozen: Verband der Kirchenchöre Südtirols
S. 26-29
3) Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet. Ereignisse Heldentum Erinnerung,
in: Der Schlern 83 (2009), H. 7, S. 4-49
4) KV 142 und 197 oder Anh. C 3.04 und C 3.05? Zu Mozarts Autorschaft
aufgrund einer Handschrift im Franziskanerkloster Salzburg, in: Mozart Studien 18 (2009), S. 87-100
Franz Gratl:
1) Zur Kontinuität klösterlicher Musikpflege in der Zeit der Säkularisation
am Beispiel des Franziskanerklosters Bozen,
in: Säkularisation 1803 in Tirol, Brixen 2005, S. 207-255
2) Franziskanische Weihnachtsmusik in Quellen aus dem Franziskanerkloster Bozen,
in: Plaude turba paupercula. Franziskanischer Geist in Musik, Literatur und Kunst,
hrsg. v. Ladislav Ka ic, Bratislava 2005, S. 235-255
3) Musikalische Blüten der Marienfrömmigkeit des 17. und 18. Jahrhunderts
im Franziskanerkloster Bozen,
in: tyrolia franciscana, Nr. 8, Juni 2005, S. 42-53.
4) Zur Autorschaft des Tantum ergo KV Anh. C 3.04,
in: Mozart-Jahrbuch 2005, S. 98-114
5) [Kommentar zum Konzertprogramm:] "Applaude sonorus seraphicus chorus".
Franziskanische Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts aus Bozen
(Konzert in der Franziskanerkirche Bozen, 2.10.2005), o. p.
6) "Laeti Bethlehem properemus". Alte Weihnachtslieder aus franziskanischen Quellen
der Tiroler Ordensprovinz,
in: tyrolia franciscana, Nr. 11, Dezember 2006, S. 33-41.
7) Mozart und Haydn in Tiroler Musikarchiven: Aufsehen Erregendes, Interessantes, Kurioses,
in: Kirchenmusik, Nr. 91, März 2006, Bozen: Verband der Kirchenchöre Südtirols, S. 16-20
8) Eine neue Quelle zur frühen Klaviermusik Joseph Haydns
im Musikarchiv des Franziskanerklosters Bozen (Südtirol),
in: Perspektiven und Aufgaben der Haydn-Forschung. Bericht über den internationalen Kongress Köln, 23.-25. Juni 2005 (= Haydn-Studien IX), München 2006, S. 248-262.
9) Musikbeziehungen zwischen Tirol und Ostmitteleuropa im Spiegel franziskanischer Quellen der Tiroler Provinz vor 1800,
in: Musik-Sammlungen Speicher interkultureller Prozesse, Kongressbericht Bonn,
28.9.-1.10.2005 (= Berichte des interkulturellen Forschungsprojekts Deutsche Musikkultur im östlichen Europa"), hrsg. v. Erik Fischer, Stuttgart 2007, Teilband A, S. 234-242
10) Aus der Musikgeschichte des Franziskanerklosters Schwaz,
in: Heimatblätter. Schwazer Kulturzeitschrift, Sondernummer, Nr. 61 (2007),
S. 33-41 .
11) Die Tiroler Franziskanermusik des 18. Jahrhunderts. Ihre Merkmale und Vorteile
für die heutige Praxis,
in: Vokalmusik zur Zeit Mozarts. Bericht zum Salzburger Symposium der AGACH
(Arbeitsgemeinschaft alpenländischer Chorverbände) im Juni 2006,
hrsg. v. Chorverband Salzburg in Zusammenarbeit mit dem
Tiroler Volksliedarchiv Innsbruck, Salzburg 2007, S. 114-136.
12) La musica francescana tirolese del XVIII secolo. Caratteristiche e opportunità
per la sua riproposta in tempi moderni,
[italienische Übersetzung der Nr. 11) von Giuseppe Brigadoi und Giulia Gabrielli] in:
Vokalmusik zur Zeit Mozarts [ ], wie 11), S. 137-145.
13) Quellen zum Schaffen von P. Amando Ivan ic in Österreich und Südtirol
unter besonderer Berücksichtigung der Bearbeitungen modo franciscano, Druck in Vorb.
Giulia Gabrielli und Hildegard Herrmann-Schneider:
14) Schgraffer, Jakob,
in: Oesterreichisches Musiklexikon (Österreichische Akademie der Wissenschaften),
online-Version (http://www.musiklexikon.ac.at)
CD-ROM RISM A/II: Musikhandschriften nach 1600, München [u.a.] 2008, 16. Ausgabe
(2870 Titelaufnahmen I-BZf, Stand September 2008)
Rundfunksendung:
RAI Bozen, 29. 1. 2006, Direktübertragung des Gottesdienstes
aus der Benediktskapelle im Kloster Muri Gries, Bozen
Messe in D-Dur von Gerold Negele OFM (1666 Bruneck/Südtirol Reutte/Tirol 1728)
für 2 Vokalsoli, 1stg. Chor, 2 Clarini/Trompeten, Pauken und Orgel
Ausführende: Mitglieder der Kantorei Leonhard Lechner Bozen
Leitung: P. Urban Stillhard OSB