Aktuelle RISM-Projekte
Hildegard Herrmann-Schneider
RISM Landesleitung Westösterreich & Referat Südtirol
Aktuelle RISM-Projekte in Nord- und Südtirol
Impulsreferat auf der RISM-Arbeitstagung im Kloster Einsiedeln am 13. Juli 2007
Als Leiterin der RISM-Landesleitung Westösterreich und des RISM-Referats Südtirol, freue ich mich, Ihnen hier persönlich einige aktuelle Informationen aus unserer RISM-Arbeitsstelle in Innsbruck vorstellen zu dürfen. Infolge der politischen wie kulturellen Vergangenheit Tirols arbeiten wir an Projekten in Nordtirol/Österreich und Südtirol/Nord-Italien, ab Herbst 2007 zudem an einem Projekt in Salzburg/Westösterreich.
Wir sind ein Team freiberuflicher Musikwissenschaftler aus Österreich, Italien und Deutschland, die jeweils neben anderen fachspezifischen Tätigkeiten konsequent an der RISM-Inventarisierung ausgewählter Musikalienbestände arbeiten. Eine kräftige Unterstützung erfahren wir vom gegenwärtigen Archivar der Tiroler Franziskanerprovinz in Schwaz: P. Oliver Ruggenthaler OFM hat seit dem Jahr 2002 in Kooperation mit uns Tausende verschollen geglaubter hochwertiger Musikalien seines ihm unterstehenden ordensinternen Verwaltungsbereichs wieder zu Tage gefördert und unserer kompetenten Erschließung zugeführt. Zudem hat er sich selbst ein Grundwissen über die RISM-Katalogisierung angeeignet, damit ehrenamtlich in der ersten Jahreshälfte 2007 aus dem Notenfundus im franziskanischen Provinzarchiv Schwaz per Kallisto 3.700 provisorische Titelaufnahmen erstellt und so der Forschung bereits elementare Informationen nutzbar gemacht. Sobald als möglich wird ein Musikwissenschaftler die nötige Komplettierung vornehmen. Bei diesen Titeln sind von herausragender Bedeutung u.a. erstmals belegbare musikalische Realien aus dem Fundus der einstigen Innsbrucker Hofkapelle um 1730/40. Da die Innsbrucker Hofkirche seit 1564 unter der Obhut der Franziskaner steht, erklärt sich das Provinzarchiv der Franziskaner als Überlieferungsträger. Unser Mitarbeiter Franz Gratl berichtet Ihnen im Anschluss über Resultate seiner bisherigen Katalogisierung im Musikarchiv des Franziskanerklosters Bozen. Dort ist ferner unsere Mitarbeiterin Giulia Gabrielli als Kallisto-Pionier mit der Bearbeitung eines lokal gewichtigen Teilbestandes, dem Nachlass des Bozener Pfarrorganisten, Kapellmeisters und Komponisten Johann Schgraffer aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, betraut.
Wir finanzieren unsere Arbeit ausschließlich projektbezogen aus verschiedenen Quellen an unterschiedlichen Orten, in begrenztem Rahmen. Daraus resultiert der Nachteil, dass sich die Katalogisierung einzelner uns anvertrauter Bestände lang hinzieht, denn wir haben in unserer Region umfangreiche, musikhistorisch vielfach sehr aufschlussreiche, individuell geprägte Bestände. Gleichzeitig genießen wir den Vorteil, dass durch das Neben- und Miteinander, mit jetzt bereits möglichen Querverbindungen und nützlichen Vergleichen sukzessive ein regional flächendeckendes Mosaik an Quellendokumentation entsteht.
Bekanntlich erweist unsere Inventarisierung im Musikarchiv des Zisterzienserstiftes Stams (40 km westlich von Innsbruck) immer wieder dessen Status als riesige musikalische Schatzkammer Tirols. Eine Vielzahl von Quellen des späten 18. Jahrhunderts, deren Gehalt an Sakral- und Profanmusik aus europäischen Musikzentren, nicht zuletzt ihr ausgezeichneter Erhaltungszustand, verleiht ihm überregionale Bedeutung. Es sei daran erinnert, dass unter den bisher seit 1993 von mir erfassten etwa 6.000 Titeln allein an Musikhandschriften sich 1995 der Schlüssel zur endgültigen Identifizierung des tatsächlichen Komponisten der sog. Kindersinfonie fand. Dieser von mir u.a. im Mozart-Jahrbuch 1996 ausführlich dargelegte Sachverhalt war ausschließlich in der Kombination von systematischer wissenschaftlicher Katalogisierung und Kenntnis regionaler musikgeschichtlicher Zusammenhänge deduzierbar. Vor wenigen Wochen gelang mir auf ähnliche Weise eine weitere Epoche machende Erkenntnis. Ich konnte im Musikalienbestand des Domkapitelarchivs Brixen, von dem ich (neben Stams) seit 1998 bislang etwa 2.800 Handschriftentitel katalogisiert habe, die jetzt international primär relevante Quelle für ein kirchenmusikalisches Hauptwerk Mozarts identifizieren, nämlich für die Missa solemnis in C (so der diplomatische Titel in Brixen) KV 257, die zuletzt sog. Große Credo Messe. 1987 hatte Alan Tyson eine an sich stichhaltige Hypothese vorgelegt, dass unter den in Frage kommenden Messen Mozarts KV 257, 258, 262 jedenfalls KV 257 die sog. Spaur-Messe sein müsse. Doch dies wurde sogar in der neuesten, als führend geltenden Mozart-Literatur 2005/06 nicht hinreichend berücksichtigt, in Konsequenz dessen auch nicht in den aktuellen Datenbanken der RISM-Zentralredaktion. Die Eruierung der üblichen Parameter für eine sachverständige Beschreibung der Handschrift mit KV 257 in Brixen ergab als erstes, dass sie von den vielfach für eine authentische Mozart-Überlieferung maßgeblichen Salzburger Hofkopisten Maximilian Raab und Felix Hofstätter um 1780 gefertigt wurde. Nach dieser Erkenntnis drängten sich weitere Forschungen zum Kontext dieser Quelle auf: Zahlreiche eigenhändige Eintragungen Leopold und Wolfgang Amadé Mozarts wurden konstatiert, ein Vergleich mit der Edition von KV 257 in der Neuen Mozart Ausgabe (1980) wurde vorgenommen, ebenso das Original der der NMA vorrangig zugrunde gelegten Quelle in der Stadt- und Staatsbibliothek Augsburg studiert. Die so gewonnen Einsichten ließen in Summe, ferner unter der Prämisse des Brixner Bistumskoadjutors und Leopold-Mozart-Freunds Graf Ignaz von Spaur als Widmungsträger der Messe sowie des Aufbewahrungs- und jetzigen Fundorts von I BREd KV 257 zwingend deduzieren, dass hier Mozarts tatsächliche Spaur-Messe vorliegt, noch dazu das Kernmaterial ihrer Uraufführung von 1776 im Salzburger Dom, mit bisher unbekannten Revisionen von Leopold und Wolfgang Amadé, die weit mehr über den letztgültigen Willen des Komponisten für dieses Werk aussagen als alle bisher der NMA zugrunde gelegten übrigen Quellen.
Eine ausführliche Studie über dieses jüngste exklusive Resultat unserer RISM-Arbeit von Innsbruck aus habe ich in Vorbereitung, erste Details sind summarisch auf der website des Instituts für Tiroler Musikforschung www.musikland-tirol.at publiziert, dazu ausgewählte Abbildungen aus der Handschrift in Brixen. Im mit der RISM-website verlinkten www.musikland-tirol.at finden Sie auch Info in Wort und Bild über alle derzeit bei uns in Bearbeitung befindlichen Bestände, den jeweils aktuellen Arbeitsstand, unsere speziellen Publikationen dazu, Aufsätze, Noteneditionen, Musikaufführungen, virtuelle Ausstellungen usw.
Von 2004 bis 2006 führten wir in Kooperation mit dem Südtiroler Landesarchiv und dem Verband der Kirchenchöre Südtirols eine systematische Sichtung ausgewählter Musikarchive in Südtirol durch, um eine schätzungsweise Vorstellung über künftig anstehende RISM-Aktivitäten in Südtirol zu gewinnen. Das Ergebnis: Wir machten in 50 Archiven weit über 16.000 Musikhandschriften und Musikdrucke ausfindig, darunter völlig ungeahnte Objekte, von einem Kyriale aus dem 15. Jahrhundert über einen im Werkverzeichnis von Sherman-Thomas (1993) nicht nachgewiesenen Michael-Haydn-Erstdruck (Tenebrae factae sunt, SheHa 162, Augsburg: Gombart 1805) bis zu Fragmenten aus einem bisher laut RISM-CD-ROM 2006 nur in Berlin belegten Wiener Singspiel Adolf Müllers (Nagerl und Handschuh, 1832). Einen kursorischen Überblick bietet dazu ebenfalls unsere website, ein ausführlicher Bericht ist soeben in der Südtiroler Kulturzeitschrift Der Schlern (Juli 2007) erschienen.
Als Klangbeispiel zum Referat:
Johann Rufinatscha (1812 Mals/Südtirol - Wien 1893)
Symphonie Nr. 5 in h-Moll, Wien um 1845
(RISM A/II 650.010.272, A Imf Autograph 1845c)
1. Satz (Einleitung)
CD Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 43 (2006), Track 5, (13:28, ausgeblendet bei 1:22)