I-BREd

Die Musikaliensammlung
im Diözesanarchiv Brixen, Bestand Domkapitelarchiv

Domplatz von Brixen, Stich um 1830, Original im Diözesanmuseum Brixen

Juni 2007: Rätsel der internationalen Mozart-Forschung in Brixen gelöst

Die musikalische Vergangenheit Brixens, eines kirchenfürstlichen wie landesherrlichen Residenzortes, ebenso der ältesten Stadt von Tirol, ist geprägt von Besonderheiten, die weit über anspruchslose, lokal geprägte Eigentümlichkeiten, wie wir sie vielerorts vorfinden, hinausgehen. Eine sehr umfangreiche Sammlung von Musikhandschriften und Musikdrucken aus dem beginnenden 17. bis 20. Jahrhundert, die einst im Gebrauch des Umfeldes der Bischofs- wie der Pfarrkirche Brixen standen und die nun im Diözesanarchiv zu Brixen verwahrt wird, gibt davon Zeugnis. Der Schwerpunkt der Überlieferung liegt in der Musica sacra aus dem süddeutsch-österreichischen Raum. Musikalische Beziehungen etwa zur Innsbrucker Hofkapelle, zum Zisterzienserstift Stams in Nordtirol, zum fürstbischöflichen Hof in Salzburg, zu den Bischofskirchen in München, Eichstätt oder Prag, zum Musikverein in Innsbruck werden deutlich. Bislang singuläre Quellen sind vorhanden z.B. zu Werken Josef und vor allem Michael Haydns, aber auch u.a. zu Johann Adolf Hasse. Etliche Musikalien aus dem 17. und 18. Jahrhundert belegen nachhaltig eine Anbindung der Brixner Kirchenmusik an renommierte Stätten der Kirchenmusik in Rom und deren führende Vertreter wie Michelangelo Falusi OFM oder Giuseppe Ottavio Pitoni.

Joseph Haydn, Messe in B-Dur, Hob. XXII/12, später "Cäcilien-", nachfolgend "Theresienmesse" genannt, Kopie um 1850, Umschlag mit dem Besitzvermerk des Domchors Brixen (I-BREd DKA 207)

Felice Anerio (um 1560-1614), Veni sancte spiritus, abgeschrieben 1877 (?) von Ignaz Mitterer während seiner Studienzeit in Regensburg, Schluss der Partitur (I-BREd DKA 693)

Für die überregionale Kirchenmusikgeschichte des 19. Jahrhunderts besitzt der enthaltene Nachlass des Brixener Domchorregenten Ignaz Mitterer (1850-1924) zentrale Bedeutung. Mitterer war an der Reformbewegung der Cäcilianer führend beteiligt. Die Autographen seiner Werke haben sich wohl zu einem großen Teil erhalten; sie lassen in etlichen Bereichen erstmals authentische Schlüsse auf seine Kompositionstechnik sowie die Erstellung eines exakten Werkverzeichnisses zu. Damit ergeben sich zusätzlich neue, detaillierte Kenntnisse über den Cäcilianismus allgemein.

Fragment einer Choral-Handschrift (Pergament),
um 1500, als Bucheinband der "Konsistorialprotokolle"
Brixen 1672/73 (I-BREd)

Chorbuch des Domchors Brixen 1606/07,
mit 5 Magnificats des InnsbruckerHofkapellmeisters Johann Stadlmayr, f.29v,
Schreiberdatierung des Innsbrucker
Hofbassisten Jakob Prandt:
19. Januar 1607 (I-BREd ChB 1)

Michelangelo Falusi OFM, Responsorien für die Karwoche op. 1, Rom 1684, Orgelstimme, Titel. Auf dem Vorsatz links oben Besitzvermerk Domchor Brixen, 1688 (I-BREd DKA 748)

Der Gesamtumfang des Bestandes konnte noch nicht präzisiert werden.


Im Dezember 2006 hat Archivdirektor Eduard Scheiber bei Räumungsarbeiten überraschend einen bisher vollständig in Vergessenheit geratenen Teilbestand an Musikalien aus dem Nachlass des Brixner Domkapellmeisters und Musikpädagogen Angelo Alverà (1905 Cortina d"Ampezzo - Brixen 1978) neu entdeckt. Bereits aus einem ersten Blick auf diesen Fundus resultiert, dass Alverà nicht nur bekanntermaßen ein ausgezeichneter Kirchenmusiker war, sondern dass ihm in der Geschichte der Tiroler Blasmusik ein herausragender Platz einzuräumen ist: Er hat etwa 100 handschriftliche Partituren mit Musik für Blasorchester aus der Mitte und zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts offensichtlich sorgsam als Schatz verwahrt, der schließlich nach seinem Tod mit anderen Teilen seiner Hinterlassenschaft in das Diözesanarchiv gelangte - Alverà war Geistlicher. Ihm ist so der Erhalt äußerst seltener originärer Quellen zu verdanken, die an anderen Tiroler Orten, weil sie nicht mehr dem aktuellen Gebrauch dienten, längst der Vernichtung anheim gefallen sind. Sie geben erstmals untrüglich Aufschluss über das einstige Repertoire der Brixner Blasmusik, seine Provenienz (vielfach Oberitalien), über frühere Besetzungen oder das alte Instrumentarium, in Summe über Komponenten des usuellen Musizierens, die sich seither sehr verändert haben, aber von der musikhistorischen Forschung noch kaum erfasst sind.

Alverà hatte, nachdem die Brixner Blasmusik während der faschistischen Wirren 1937 aufgelöst worden war, 1938 mit 22 deutschsprachigen Bläsern die "Domkapelle" ins Leben gerufen, 1947 die Neugründung der "Bürgerkapelle" Brixen mitgetragen und ihr anfangs als Kapellmeister vorgestanden (vgl. Bürgerkapelle Brixen 1801-2001. Festschrift, Brixen 2001). Exemplarisch zeigt sich die Tiroler Tradition einer engen Verbindung von Kirchenmusik und Blasmusik.

L. Köhlnhofer (Mitte 19. Jh.),
Kapellmeister in Brixen,
Mai-Fest-Marsch, As-Dur,
autographe Partitur 1857,
Titelblatt und Anfang,
Besitzvermerk (Stempel):
"Städtische Musikkapelle Brixen" (I-BREd DKA M 2079).

Wiederum unversehens stieß Archivdirektor Eduard Scheiber im Mai 2015 auf einen bis dahin von niemandem mehr zur Kenntnis genommenen Stapel von Musikalien aus dem Nachlass des Brixner Domorganisten Josef Gregor Zangl (1847 Steinach am Brenner - 1894 Brixen). Er enthält zahlreiche Autographen Zangls mit bislang unbekannten Sakralwerken, aber auch Abschriften von Kompositionen, etwa von Giovanni Battista (Padre) Martini, die es jetzt erstmals erlauben, sich ein konkretes Bild von Josef Zangl als einem einst weitum, noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts populären Kirchenmusiker Tirols zu machen.

Von Herbst 1998 bis Dezember 2023 wurden im Diözesanarchiv Brixen ca. 7.500 Titelaufnahmen von Musikhandschriften und Musikdrucken per EDV für die RISM-Datenbank erstellt. Bis zum Abschluss der gesamten Katalogisierung wird es noch einige Zeit dauern.

Seit Juni 2010 sind alle bisher bearbeiteten Titel (als work in progress) im RISM-OPAC publiziert, einem Projekt von RISM in Kooperation mit der Bayerischen Staatsbibliothek München und der Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz: www.rism.info

Projektleitung und
Bestandsbearbeitung Handschriften:

Univ.-Doz. Mag. art. Dr. phil. Hildegard Herrmann-Schneider
RISM Tirol-Südtirol & OFM Austria
Institut für Tiroler Musikforschung Innsbruck
Rumer Str. 51d
A 6063 Innsbruck / Post Rum
Tel. +43 / (0) 512 / 263 272
e-mail: rism.hh@musikland-tirol.at

Vorarbeiten Bestand Drucke:

Mag. Manuela Cristofoletti
(Herbst 1998 bis Frühjahr 2002)

Projektfinanzierung:

Brixner Initiative Musik und Kirche
ab 2023 Stiftung Musik Brixen
mit Förderung durch die Kulturabteilung
der Südtiroler Landesregierung,
die Stadtgemeinde Brixen und
die Region Trentino-Südtirol


Presseberichte (über die Mozart-Identifizierung zu KV 257
und die Präsentation durch die
Südtiroler Kulturlandesrätin Sabina Kasslatter Mur) u.a. in:

Dolomiten, 23./24. 6. 2007, S. 16

LPA Bozen, 22. 6. 2007

Wirtschaft im Alpenraum, Juli/August 2007, S. 239

Concerto. Das Magazin für Alte Musik (Köln), Nr. 215, August/September 2007, S. 20


Literatur zu I-BREd (Auswahl)

Hildegard Herrmann-Schneider:

1) Zur Musikaliensammlung im Domkapitelarchiv Brixen, in: Der Schlern 75 (2001), S. 941-956 und (mit Abb.) in: Symposion Brixen 2001. 1100 Jahre Brixen 600 Jahre Cusanus, Brixen 2002, S. 49-101

2) Intention und Realität des Cäcilianismus in Tirol, in: Symposion Brixen 2002. Cäcilianismus in Tirol, Brixen 2003, S. 35-92

3) Wolfgang Amadé Mozarts "Spaur-Messe" KV 257. Ein altes Rätsel der internationalen Mozart-Forschung und seine endgültige Lösung in Brixen 2007, in: Der Schlern 81 (2007), H. 11, S. 4-21

4) Tiroler Mozart-Aspekte, in: Symposion Brixen 2006. Kunst & Sakralraum, Brixen 2008, S. 101-135

5) Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet.
Ereignisse Heldentum Erinnerung, in: Der Schlern 83 (2009), H. 7, S. 4-49

6) Die "Missa solemnis" KV 257 im Diözesanarchiv Brixen.
Das Notenmaterial der Uraufführung von Mozarts "Spaur-Messe",
in: Mozart Studien 18 (2009), S. 23-47

7) Die Städtische Musikkapelle Brixen.
Tiroler Blasmusik im 19. Jahrhundert mit Know-how der Militärmusik,
in: Der Schlern 84 (2010), H. 8, S. 4-66

8) Brixen/Südtirol: die kleine Stadt mit großer Kirchenmusiktradition. Zur Situation um 1900.
In: Musik-Stadt. Traditionen und Perspektiven urbaner Musikkulturen. Bericht über den XIV. Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung vom 28. September bis 3. Oktober 2008 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig. Band 1. Traditionen städtischer Musikgeschichte, hrsg. v. Helmut Loos, Leipzig: Gudrun Schröder (2011), 480-494

9) La "Spaur-Messe" Messa KV 257 [di] Wolfgang Amadé Mozart.
In: Lo Spirito Nobile della Gente Anaune. Percorsi espositivi e narrativi. Cles Palazzo Assessorile 16 Aprile 4 Settembre 2011, Cles 2011, p. 114-117 (Traduzione: Giulia Gabrielli)

10) Streiflichter zur Advents- und Weihnachtsmusik in Brixen.
"Rorate coeli"-Vertonungen des Innsbrucker Hofkapellmeisters Johann Stadlmayr
und ein "Germinavit radix Jesse" von Wolfgang Amadé Mozart.
In: Der Schlern 85 (2011), H. 12, S. 4-15

11) Music Manuscripts from the Seventeenth to the Twentieth Centuries in Stams,
Bressanone, Salzburg and from "Vipiteno".
In: Fontes Artis Musicae 59 (2012), p.14-24. Translation: Silvia Skelac

12) "Die Musikbibliographie ist die Grundlage alles historischen Wissens. On Today's Relevance of Robert Eitner's Central Idea from 1898.
Vortrag auf der RISM-Konferenz 2012 (Musikdokumentation in Bibliothek, Wissenschaft und Praxis) in Mainz. Translation: Silvia Skelac.

13) „Im Contrapunkt abgehaltene Gesänge" und „üblich gewester Choralgesang“.
Musik zur Karwoche in Tirol: Prägnante neue Quellenfunde.
In: Der Schlern 88 (2014), H. 4, S. 4-23

14) Streiflichter zur Geschichte der Verdi- und Wagner-Rezeption in Tirol.
In: Der Schlern 87 (2013), H. 10, S. 4-23

15) Throwing some light on the history of Verdi and Wagner reception in Tyrol.
In: Fontes Artis Musicae 61 (2014), pp. 163-172. Translation: Jennifer Ward

16) P. Hartmann von An der Lan-Hochbrunn OFM (1863-1914). Ein Tiroler Franzsikaner
als musikalischer Kosmopolit und Phänomen der Musikgeschichte.
In: Der Schlern [89] (2015), H. 1, S. 4-43



Notenedition zu I-BREd

Wolfgang Amadé Mozart, Missa solemnis in C-Dur (KV 257) "Spaur-Messe" [...].
Erstausgabe nach der von Leopold und Wolfgang Amadé Mozart eigenhändig revidierten Stimmenhandschrift für Graf Ignaz von Spaur (1724-1779) im Diözesanarchiv Brixen (unter Mitarbeit von Thomas Engel), Innsbruck: Institut für Tiroler Musikforschung 2007,
"Musikedition Tirol": http://www.musikland-tirol.at/


Erstaufführung von KV 257 nach I-BREd:

1. November 2007, Hochamt im Dom zu Brixen, Domchor und Domorchester
unter Leitung von Domkapellmeister Heinrich Walder,
Live-Übertragung RAI Hörfunk, Sender Bozen.

Vgl. Dolomiten,3./4. 11. 2007, S. 10 (Manuela Kerer, Brief an Mozart […]
Musik und Kirche Brixen: Erstaufführung der authentifizierten „Spaur-Messe“ […])

Konzert der Bürgerkapelle Brixen 6. 8. 2010

Im Brixner Herrengarten bei der Hofburg bringt die Bürgerkapelle Brixen unter Kapellmeister Sigisbert Mutschlechner in einem Konzert der Brixner Initiative Musik und Kirche nach Handschriften aus I-BREd,
aus dem Repertoire der Städtischen Musikkapelle Brixen im 19. Jahrhundert, zur Aufführung:
August Cipl (1824-1898): Willkommen-Marsch (1856)
Pietro Combi (1808-1853) : Cavatina aus Adelaide di Franconia (UA der Oper Triest 1838)
Gaetano Donizetti (1797-1848): Cavatina aus Maria di Rudenz (UA der Oper Venedig 1838)
Lorenz Köhlnhofer (1828-1859): Festmarsch (um 1850)
Hans Obkircher (*1939 Völser Aicha/Südtirol) hat die Neubearbeitungen für die Bürgerkapelle Brixen 2010 vorgenommen, entsprechend des für das 19. Jahrhundert exakt belegbaren Usus des Arrangierens für das jeweils gerade ausführende Ensemble.


online-Präsentation zu I-BREd

Hildegard Herrmann-Schneider und Manfred Schneider:
* Mozart Spuren in Tirol, in: www.musikland-tirol.at (2006ff.)


Interview zu I-BREd

Manuela Kerer / Hildegard Herrmann-Schneider:
* In Brixen gibt es musikalische Schätze, in: Brixner 17 (Brixen, Oktober 2006), S. 36-37


Beate Gatterer / Hildegard Herrmann-Schneider:
* Im Diözesanarchiv in Brixen befindet sich eine Abschrift der Spaur-Messe.
Sie spiegelt den Willen Mozarts wider, in: Dolomiten, 23./24. 6. 2007, S. 20