RISM EMuS

Die Erfassung
von Musikarchiven in Südtirol


Zusammen mit bislang aus dem Diözesanarchiv Brixen (I BREd) und dem Stiftsarchiv Innichen (I SCAcc) bekannten Informationen zur Überlieferung alter Musikhandschriften und Musikdrucke in Südtirol warf der Sensationsfund im Franziskanerkloster Bozen (I BZf) 2002 in dem für die Bewahrung der Kulturgüter Südtirols verantwortlichen Personenkreis 2003 die Frage auf, ob denn in Südtirol noch weitere Musikalienbestände vorhanden wären, die für die Bewahrung der musikalischen Tradition des Landes Bedeutung haben könnten.

Die Erkundung der Musikarchive 2004-2006

Um nun erstmals eine Antwort zu bekommen, wo sich denn überhaupt noch altes Notenmaterial - als unmissverständliches Spiegelbild einstiger Musikkultur des Landes - in Südtirol befindet, hat der Verband der Kirchenchöre Südtirols noch im Herbst 2003 an seine Mitglieder, an Pfarreien und Klöster in Südtirol 761 Fragebögen ausgesandt, mittels derer um eine pauschale Auskunft gebeten wurde, ob alte handschriftliche bzw. gedruckte Musikalien vorhanden seien, wenn ja, aus welcher Zeit in etwa. Bis Jahresbeginn 2004 haben 78 Institutionen bzw. ihre Vertreter geantwortet. Dabei wurde von 35 Orten die Existenz alter Musiknoten gemeldet, an den übrigen Stätten hatte sich laut Angabe nichts mehr erhalten.

Von den positiv gemeldeten 35 Musikinstitutionen wurden 2004 nach fachlichen Kriterien ausgewählte 26 in verschiedenen Regionen Südtirols durch jeweils einen der Mitarbeiter unseres Teams aufgesucht. Dieser erfasste den vorgefundenen Altbestand unter wissenschaftlichen Aspekten mit einem kursorischen Inventar.

2005/06 folgten die Sichtungen weiterer, mittels Fragebogen 2003 eruierter Musikalienbestände. Dazu kamen einige andere Orte, die - in musikhistorischer Kenntnis begründet - Quellenbestände vermuten ließen, daher persönlich von uns kontaktiert wurden und erfolgreich aufgenommen werden konnten. In einem Fall wurden wir vom Eigentümer gebeten, seine Notensammlung anzuschauen und Aufschluss zu geben. Teilweise haben wir von Besitzern schriftlich oder mündlich kursorische Informationen erhalten, noch ohne selbst einen fachmännischen Blick auf ihr Material werfen zu können.

Das Ergebnis

In einer Tabelle - zur schnellen Orientierung alphabetisch nach Orten angelegt und in einer Grafik haben wir nun die wichtigsten Daten zu den erhobenen Musikalienbeständen zusammengestellt, insbesondere das Mengengerüst. In Summe haben wir weit über 16.000 Musikhandschriften und drucke in Südtiroler Besitz, überwiegend bei Pfarreien und Klöstern, feststellen können. Sie datieren vom 17. bis gegen die Mitte des 20. Jahrhunderts. Aktuell in Gebrauch stehende Musikalien, z.B. von Kirchenchören, blieben freilich unberücksichtigt.

Einmal mehr konnten wir in Tirol einen überraschenden musikhistorischen Sensationsfund tätigen: als überregionales Rarissimum ein Graduale/Kyriale des 15. Jahrhunderts in Enneberg (Gadertal). Vollkommen unvermutet war diese Entdeckung vor allem deswegen, weil man für diese Gegend mit früher angestammter liturgischer Musik derzeit in der Regel als erstes die "Kirchensinger" assoziiert.

Details

Zu jeder Bestandssichtung hat der jeweilige Bearbeiter ein Protokoll verfasst, das außer dem Mengengerüst besondere Merkmale der Sammlung festhält, Stichpunkte zu ihrer Konsistenz, lokalgeschichtlich relevante oder etwa Querverweise liefernde Schreiber-, Besitz- und Aufführungsvermerke, Provenienzen, soweit sie auf Anhieb erkennbar waren, dazu die wichtigsten Namen der vertretenen Komponisten. Damit eröffnet sich für Fachleute bereits die Möglichkeit, Rückschlüsse auf charakteristische Grundzüge lokaler Musikausübung zu ziehen oder bei der Suche nach bestimmten Quellen gezielt vorgehen zu können. Die Kurzinventare stehen Interessenten auf Anfrage zur Verfügung, in Bozen in der Bibliothek des Verbands der Kirchenchöre Südtirols sowie im Südtiroler Landesarchiv, ferner in Innsbruck im Institut für Tiroler Musikforschung.

Selbstverständlich konnten wir derzeit nur einen Einblick in die aktuelle Quellenlage gewinnen, vorerst mag er als repräsentativ gelten. Für eine Gesamtschau wäre eine systematische Feldforschung anzusetzen, die einen Sachkundigen konsequent und persönlich von Ort zu Ort führt.

Einen eigenen Bestandteil hätten mögliche Relikte von Notenmaterial etwa bei Blasmusikkapellen oder bei Privat zu bilden.

Literatur

Hildegard Herrmann-Schneider, "RISM EMuS" 2004-2006. Intention und Resultate eines musikhistorischen Forschungsprojektes in Südtirol, in: Der Schlern 81 (2007), H. 7, S. 4-31..