Rezension zu "Musikgeschichte Tirols. Band 1"


Musikgeschichte Tirols. Band 1: Von den Anfängen bis zur Frühen Neuzeit. Hrsg. von Kurt Drexel und Monika Fink. Mit Beiträgen von 22 Autoren. Innsbruck: Universitätsverlag Wagner 2001. 790 S., Abb., Notenbeisp. (Schlern-Schriften 315)

Zweifelsohne ist eine „Musikgeschichte Tirols“ ein Desideratum. Tirol ist nämlich ein faszinierendes Land, das trotz seiner territorialen Kleinheit in der universellen Musikgeschichte markante Spuren gezogen und gefestigt hat. Die genialen Komponisten Oswald von Wolkenstein und Leonhard Lechner, die sog. „Trentiner Codices“, die das europäische Musikrepertoire des 15. Jahrhunderts widerspiegeln, die habsburgische Hofhaltung in Innsbruck unter Kaiser Maximilian, Erzherzog Ferdinand II. und Erzherzog Ferdinand Karl, der Geigenbauer Jakob Stainer, die von Tirol aus initiative kirchenmusikalische Reformbewegung des Cäcilianismus oder die in Europa und Amerika reüssierenden „Tiroler Nationalsänger“ sind nur einige der musikgeschichtlichen Phänomene, die das „Musikland Tirol“ mit internationaler Ausstrahlung prägen. Die wirkliche „Musikgeschichte“ eines Landes zu publizieren setzt voraus, dass die Herausgeber und die von ihnen ausgewählten Autoren die von ihnen jeweils vertretenen Teilbereiche so umfassend als möglich präsentieren. Dem hat eine gründliche Quellenrecherche in allen Facetten auf neuestem Stand vorauszugehen, damit tatsächlich eine aktuelle, übersichtliche, methodisch straffe Darstellung erfolgen kann.

Die Herausgeber der „Musikgeschichte Tirols“ erheben ausdrücklich den Anspruch, „die erste umfassende Musikgeschichte Tirols [...] interdisziplinär angelegt“ (Bucheinband) vorzulegen und „neue Wege [zu] beschreiten“ („Einleitung“, S.9). Diesem an sich erstrebenswerten Ansinnen vermag jedoch der erste von den drei für das Werk konzipierten Bänden (Band 2: 17.-19. Jh., Band 3: 20. Jh.) nicht standzuhalten. Das vorliegende Buch enthält allenfalls gesammelte Beiträge zu ausgewählten Teilbereichen der Musikgeschichte Tirols. Diese Teilbereiche wurden jedoch nicht nach ihrer sukzessiven, objektiven Notwendigkeit, wie sie sich bei einer gründlichen Kenntnis sowohl der Strukturen der Musikgeschichte Tirols als auch des gegenwärtigen Forschungsstands aufdrängt, bestimmt, sondern nach sich zufällig ergebenden Präferenzen der beteiligten Autoren. Die „Vielfalt der Ansätze, Methoden und Darstellungsweisen“ („Einleitung“, S.10) kommt einer konsequent disponierten Überblicksdarstellung, wie sie in diesem Rahmen wünschenswert wäre, nicht eben zugute, sie läßt eher den Eindruck des damit vermeintlich möglichen Kaschierens redaktioneller Schwächen aufkommen. Warum wird z. B. „Die Lateinschule der St. Jakobspfarrkirche in Innsbruck“ in einem eigenen Beitrag (von Wolfgang Steiner) behandelt, während man sich Informationen über das Schulwesen und die Rolle der Musik dabei an anderen Orten bzw. in anderen Landesteilen, bestenfalls über den Band verteilt, wieder erst selbst zusammensuchen muss? Es wird z. B. auch verschwiegen, dass dieser Artikel lediglich die um Quellenzitate erweiterte Fassung eines Aufsatzes Steiners im Sammelband Stadt und Kirche, hrsg. v. Franz-Heinz Hye, Linz 1995 (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas 13), ist. Martin Peintners Beitrag „Schreibkunst, Studium und Musikleben im mittelalterlichen Kloster“ zum Beispiel befasst sich ausschließlich mit dem Augustiner-Chorherrenstift Neustift oder verliert sich in allgemein gültigen, tirol-unspezifischen Ausführungen zur mittelalterlichen Musikpflege in einem Kloster. Zwar wird im Untertitel noch Neustift hervorgehoben, doch wo bleiben in diesem Kontext Ausführungen etwa über die Klöster Stams (Zisterzienser), St. Georgenberg (Benediktiner), St. Magdalena im Halltal (Augustinerinnen), Wilten (Prämaonstratenser), oder etwa ihre musikalischen Bezüge zu ihren außerhalb Tirol liegenden Mutterklöstern? Was wurde von dort nach Tirol transferiert oder vielleicht auch dorthin zurückvermittelt? Die dem Beitrag von Martin Peintner beigegeben Abbildungen sind ausnahmslos in gleicher Weise schon in anderen Publikationen von ihm veröffentlicht und dies in optisch wesentlich eleganterer Positionierung, z. B. in seinem Buch Neustifter Buchmalerei (Bozen 1984). Die Abbildungen auf den Farbtafeln 9 und 12 stammen zwar aus einem Neustifter Graduale und Missale, zeigen jedoch eine Kreuzigungsgruppe und eine vom Brixener Bischof und Neustifter Propst flankierte Madonna mit Kind, die sui generis nichts primär über Musik in Tirol aussagen. Die „Anmerkung der Herausgeber“ (S. 353) zu diesem Beitrag, dass die „Darstellung [...] anderen, wissenschaftlichen Studien in dieser Publikation ergänzend gegenüber“ stehe, belegt einmal mehr, dass ein dem Generalthema gerecht werdendes, stringentes Konzept nicht vorliegt. Besonders augenfällig wird die inadäquate Gewichtung des Stoffes im Kapitel „Einstimmige liturgische Handschriften des Mittelalters in Tirol“ von Stefan Engels, der sich weithin mit allgemeinen Erklärungen zur liturgischen Musik aufhält, die bei Bedarf in jedem entsprechenden Lexikon nachgelesen werden können. Im Aufsatz „Geistliche Spiele im 15. und 16. Jahrhundert“ von Monika Fink werden zum Beispiel Erkenntnisse von Walter Senn („Spiele in Alt-Hall“, in: Stadtbuch Hall in Tirol, Innsbruck 1981) wiederholt, teilweise in Frage gestellt, jedoch ohne eine Antwort zu geben oder wenigstens die Fährte aufzudecken, um eine solche zu gewinnen. Dagegen bleibt die Einarbeitung anderer Forschungen, etwa zum Brixener Passionsspiel aus dem Jahr 1551 (s. Rolf Bergmann, „Katalog der deutschsprachigen geistlichen Spiele und Marienklagen des Mittelalters, München 1986) unerklärbar ausgespart.

In den Ausführungen zur Musikgeschichte des Trentino begegnet man „alten Bekannten“, in Wort und Bild, etwa aus dem von Rossana Dalmonte herausgegebenen Sammelband Musica esocietà nella storia trentina, Trento 1995.

So stellt die Musikgeschichte Tirols I über weite Strecken eine Kompilation und ein Konglomerat bereits publizierter Arbeiten dar. Hier drängt sich die grundlegende Frage auf, ob eine solche, nach wissenschaftlichen Kriterien in vielerlei Hinsicht sorglos angegangene Veröffentlichung angesichts des Arbeits- und vor allem auch des Finanzaufwandes von öffentlicher Seite für ihre Erstellung in unserer Zeit der neuen Medienvielfalt ausreichend Sinn macht. Schließlich sind die bislang verfügbaren Publikationen zum Thema nicht selten sogar noch im Original beziehbar oder aber, wie die älteren Titel, über Datenbanken recherchierbar und können über die Dokumentenlieferdienste der modernen Bibliotheken direkt in den Computer an den jeweils persönlichen Arbeitsplatz gestellt werden. Die Ausstattung des Buches ist nicht so prächtig, dass das Argument der Bibliophilie die (neuerliche) Drucklegung des Inhalts ausreichend fundamentieren könnte. Im Verhältnis zum Gesamtumfang werden nur wenige neue Forschungsergebnisse greifbar, denn ihre erstmalige Erarbeitung steht ja aus. Dies gilt wie bereits erwähnt für die Texte, insbesondere aber auch für die Illustrationen. Wozu wird etwa im Beitrag von Othmar Lässer, „Bilder zur Musikgeschichte in Tirol. Von den Anfängen bis 1600“, der Katalog der Bilder zur Musikgeschichte in Österreich. Teil 1: bis 1600 von Walter Salmen, Innsbruck 1980 (Innsbrucker Beiträge zur Musikwissenschaft 4) in seinen tirol-relevanten Passagen wörtlich, lediglich mit Wortumstellungen reproduziert, mit den gleichen Literaturangaben, die schon bei Salmen angeführt sind? Da kann die Hinzufügung der Datenbanknummer einer vorhandenen Bildreproduktion im ikonographischen Archiv des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck, an dem beide Herausgeber lehren, zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung nichts an effizientem Informationsgewinn bieten. Stattdessen wurde es verabsäumt, weitere Bildzeugnisse zu eruieren. Sogar in Innsbruck selbst, z. B. im Prämonstratenser-Chorherrenstift Wilten oder etwa in der Schweiz (Genf, Müstair) gibt es ikonographische Quellen zur Musikgeschichte Tirols, die noch überhaupt nicht wissenschaftlich erfasst sind. Ferner fehlt in der Typologie ikonographischer Quellen zur Musikgeschichte Tirols etwa der für Tirol bedeutende Komplex der Drolerien. Wollte man nun bewusst den alten Fundus an bekanntem Bildmaterial nützen und der Öffentlichkeit verfügbar machen, hätte dies über beigegebene Abbildungen, zumindest in Ausschnitten, oder aber wohl zeitgemäß am besten auf einer dem Buch beigegebenen CD-ROM bzw. ihre rechtzeitige parallele Eingabe ins Internet geschehen können. Auf die Aussagefähigkeit der Bildquellen wird überhaupt nicht eingegangen. Die für Tirol in unglaublicher Fülle vorhandenen Bilder werden nicht einmal im Ansatz zur Findung von Erkenntnis herangezogen. Deproduktiv wirkt sich dieser Mangel u. a. im Beitrag von Erich Tremmel („Musikinstrumentenbau in Tirol bis ca. 1600“) aus. Zöge man, wo schriftliche Quellen fehlen, Bildquellen zu Rate, wäre über Musikinstrumente in Tirol und in der Folge auch über ihre Herstellung wohl einiges zu deduzieren. Es gehört zu den gravierendsten Mängeln der Publikation, dass die Ikonographie als wissenschaftliche Disziplin, die seit Jahrzehnten einen Forschungsschwerpunkt des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck ausmachen soll, nicht den ihr gebührenden Platz eingeräumt erhält. Das angehäufte Sammelgut wird nicht systematisch wissenschaftlich ausgewertet, noch dazu für eine Zeit und eine Region, in der die qualitativ hochwertigen bildlichen Darstellungen höchste Relevanz besitzen, sondern dient in Auszügen peripherer Illustration ohne Kommentar.

Nicht zuletzt muss in diesem Zusammenhang konstatiert werden, dass die von den Herausgebern so sehr betonte Interdisziplinarität real nicht gegeben ist. Interdisziplinäres Arbeiten besteht nämlich nicht darin, dass Wissenschaftler verschiedener Disziplinen (im vorliegenden Band 22 Musikwissenschaftler, Historiker mit vielgestaltigen Spezialgebieten unterschiedlicher Epochen, Bibliothekswissenschaftler usw.) gleichsam beliebige Themen ihres Faches in einem Band nebeneinander darstellen, so wie sie es in einer anderen Publikation ebenso uneingeschränkt tun könnten (und es auch bereits getan haben), sondern in der eng ineinander verflochtenen, übergreifenden Aufarbeitung eines einzigen gemeinsamen Fragenkomplexes. Der Beitrag von Walter Neuhauser, „Musikgeschichtliche Quellen in Klöstern, Bibliotheken und Archiven“, der die dem Band vorgegebene Zeitgrenze von 1600 weit überschreitet, kommt zwar aus der Feder eines unbestritten hochrangigen Bibliotheksdirektors und Kenners von Inkunabeln ebenso wie von frühen Handschriften, doch sind ihm wesentliche schriftliche Quellen und spezielle Archivbestände zur Musikgeschichte Tirols, noch dazu im internationalen Kontext, offensichtlich unbekannt, selbst wenn über sie schon publiziert wurde.

An Kardinalpunkten wie diesem wird die partielle Absurdität eines teilweise fachfremden Autorenteams deutlich, denn der so betonte, vermeintlich weite methodische Ansatz hat bei offensichtlich flüchtig erfolgten Recherchen eine weithin mangelhafte fachspezifische Information des Lesers zur Folge, und dies kann nicht noch als umgreifende Darstellung eines Sachverhalts zählen. Der Germanist Max Siller schreibt über „Sangspruchdichtung in Tirol: Friedrich von Sonnenburg“, der Musikwissenschaftler Rainer Gstrein ergänzt einen „Anhang. Anmerkungen zu den Melodien Friedrichs von Sonnenburg“. Beide haben wohl Horst Brunners Aufsatz „Die Töne Friedrichs von Sonnenburg. Bemerkungen zur Form und zur formgeschichtlichen Stellung“ (in: Artes liberales. Karlheinz Schlager zum 60. Geburtstag, =Eichstätter Abhandlungen zur Musikwissenschaft 13, Tutzing 1998) nicht zur Kenntnis genommen, sonst könnte Gstrein nicht auf S. 444, drei Jahre nach Erscheinen von Brunners Untersuchung, feststellen: „Musikwissenschaftliche Publikationen, die speziell der Person und/oder dem Schaffen Friedrichs von Sonnenburg gewidmet sind, existieren nicht“. Zwar ist Brunner ein Germanist, aber wenn schon von den Herausgebern der Musikgeschichte Tirols I die Interdisziplinarität so sehr gepriesen wird, warum sollten seine Überlegungen zu Friedrichs „Melodiestrukturen“ (Abschnitt II seiner Arbeit) nicht Fächer übergreifende Gültigkeit besitzen? Ansonsten wäre es Aufgabe des klagenden Musikwissenschaftlers, statt das Desideratum zu bejammern dieses zu beheben.

Die angestrebte Internationalität der Publikation wird drastisch relativiert, wenn die Beiträge italienischer und amerikanischer Autoren in deutscher Übersetzung gebracht werden: Einerseits war Italienisch zum Zeitpunkt der im Buch präsentierten Epochen eine der Landessprachen in Tirol, und dass sie heute südlich wie nördlich des Brenners wieder allgemein verstanden wird, sollte forciert und nicht abgeblockt werden, andererseits ist Englisch in unserer Zeit keine Fremdsprache mehr (vgl. z.B. Leitartikel in der „DUZ“/Deutsche Universitätszeitung 2002, Nr. 22: „An Englisch führt kein Weg vorbei“). Für den vermutlich in der Minderzahl ausschließlich deutschsprachigen Benützer des Buchs wäre eine Zusammenfassung der betreffenden Beiträge in Deutsch im Anschluss an den Originaltext wohl ausreichend gewesen.

Zahllose Details wären aufzulisten, um im einzelnen die wiederholt spürbare Oberflächlichkeit der Publikation zu belegen. Viermal wird im Buch z. B. kommentarlos die Existenz der Baldachin-Orgel auf der Churburg (in Schluderns/Vinschgau) von Michael Strobel aus dem Jahr 1559 (davon S. 703: 1558, Druckfehler?) erwähnt, doch kein einziges Mal ihre Besonderheiten näher erläutert geschweige denn auf einen Tonträger verwiesen, auf dem sie zu hören ist. Damit wird dem interessierten Laien die Möglichkeit vorenthalten, sich ein klangliches Bild des Pretiosums, seine vorrangige Botschaft, zu vergegenwärtigen. Der Fachmann kennt sowohl die Orgel wie den Tonträger, damit ist für ihn auch der viermalige Hinweis auf das Instrument überflüssig.

Es steht außer Zweifel, dass in Anbetracht des derzeitigen Forschungsstandes um die Primär- und Sekundärquellen zur Musik in Tirol, es ein äußerst schwieriges und komplexes Unterfangen wäre, eine „Musikgeschichte Tirols“ zu verfassen. Der Universalgelehrte von einst, der als Einzelperson alle Facetten selbst im Griff hatte und zu beschreiben vermochte, kann angesichts der heute verfügbaren Materialfülle nicht mehr allein das Thema bewältigen. Ein folglich nötiges Autorenteam müsste jedoch homogen strukturiert sein und von kompetenter Seite stringent geführt werden, um ein für den Kenner der Materie befriedigendes Ergebnis zu erzielen. Man kann sich bei einiger Sachkenntnis des Eindrucks nicht erwehren, dass hier im Schnellverfahren qualhaft etwas produziert wurde, um nur irgend etwas einmal vorzulegen. Es erscheint wohl prekär, wenn z. B. Wolfgang Suppan („Die Funktion der Musik im Leben der Bürger und Bauern Tirols [...]“) längst bekannte und zugängliche Fakten über verschiedene Lieder oder ihre (Sammel-) Editionen aneinanderreiht und dies offensichtlich lediglich anhand seiner inzwischen nicht mehr auf neuestem Stand gehaltenen Materialsammlungen, während auf eine zu diesem Kapitel essenzielle, sogar am Institut für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck seit einigen Jahren in Arbeit befindliche und im Jahre 2002 approbierte Disseration von Sonja Ortner über das sog. Innsbrucker Liederbuch („Das Innsbrucker ‚Catholisch Gesangbuechlin‘ von 1588. Das erste vollständige österreichische Kirchengesangbuch als Produkt der Gegenreformation und seine Bedeutung für die Liedgeschichte“) nicht einmal verwiesen wird. Die Tatsache des Vorliegens einer veralteten Darstellung gilt auch für den Aufsatz von Walter Pass („Zur städtischen, kirchlichen und höfischen Musikkultur in Tirol in der nachmaximilianischen Zeit“). Dies ist freilich nicht mehr dem 2001 verstorbenen und seit vielen Jahren gesundheitlich schwer beeinträchtigten Autor anzulasten, vielmehr hätten hier die Herausgeber im Interesse einer aktuellen Darstellung Hilfestellung leisten oder einen voll einsatzfähigen wie voll informierten Bearbeiter engagieren müssen. Es ist jedenfalls misslich, wenn z. B. Alexander Utendal (um 1530-1581) im ganzen Buch ein einziges Mal und dabei wiederum lediglich als „Nachfolger“ des „Kapellmeisters“ Wilhelm Bruneau (S. 657) erwähnt wird, nicht einmal mit einem eigenen Satz. De facto war Utendal in Innsbruck als Altist, Komponist und Vizehofkapellmeister von 1566 bis 1581 tätig und hat mit seiner Sammlung Froeliche newe Teutsche vnnd Frantzösische Lieder [...], Nürnberg 1574 (RISM A/I U 123) ein im Rahmen der universellen Musikgeschichte neuartiges, vollendetes Meisterwerk geschaffen, das in seiner kompositorischen Qualität vom bislang viel gerühmten Jakob Regnart nicht erreicht wurde (s. Ersteinspielung von Utendals Liederzyklus auf der CD „Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 18/Hofmusik auf Schloss Ambras“ mit den Ausführungen von Manfred Schneider im Booklet, Innsbruck: Institut für Tiroler Musikforschung 2001). Dass Utendal ein gleichfalls hervorragender, progressiver Künstler in der kirchenmusikalischen Komposition war, der den spätniederländischen polyphonen Satz ebenso beherrscht wie er bereits Komponenten der bald stilistisch dominierenden Monodie, hoch expressive, homophone Partien und Mehrchörigkeit anwendet, bezeugen die Erstaufnahmen einer Auswahl aus seinen Sakralwerken (zwei Messen, gedruckt in Nürnberg 1573 und zehn Motetten, gedruckt in Nürnberg 1571 bzw. 1573 auf der CD „Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 27/Tiroler Tage für Kirchenmusik 2002 Stift Stams“, Innsbruck: Institut für Tiroler Musikforschung 2002). Es kann in einer „Musikgeschichte Tirols“ in unserer Zeit, in der Quellen weltweit zugänglich sind, nicht angehen, dass Musiker, die zum herausragenden Status der Innsbrucker Hofkapelle überregional beigetragen haben und deren zeitlose Gültigkeit ihrer Werke heute anhält, gerade noch mit ihrem Namen angeführt werden.

Es ist bedauerlich, dass das Buch dem Erfordernis des von den Herausgebern so gesetzten Themas nicht gerecht wird und auch die Chance, die Musik Tirols in den internationalen Kontext gesetzt zu präsentieren, nicht wahrgenommen wurde.


Hildegard Herrmann-Schneider